Geburtstaaaaag!!!!!

 

Ich kann es schier gar nicht glauben:

 

Genau heute vor einem Jahr habe ich zum ersten Mal meine Klappe geöffnet!!!!

 

Unglaublich! Und es gibt Sell & ebbes noch! Noch mehr unglaublich, wenn man bedenkt, wie diese 12 Monate verlaufen sind! Ich kann euch versichern: Ich war nicht immer davon überzeugt, dass ich es so weit bringen würde. Zwischendurch hatte ich wirklich schlaflose Nächte, in denen ich in Gedanken noch so viel Ware wie möglich so schnell wie möglich verkauft habe, um nicht allzu gerupft aus der Krise zu kommen. Ich habe Stunden um Stunden damit verbracht, meinen Wagen zu putzen und zu stricken, während ich vergeblich auf Menschen wartete, die bei mir einkaufen möchten. Ich hatte viele Tage, an denen ich nicht auch nur annähernd die Marktgebühr erwirtschaftete. Ich stürzte mich voll Begeisterung und Euphorie in dieses Abenteuer, davon überzeugt, dass es gelingen würde, wurde bejubelt ... leider sehr oft sehr laut von Menschen, die ich entweder nie kennengelernt habe oder bei denen ich erkennen musste, dass am Ende ... andere Dinge wichtiger sind als der Umstand, dass ich mich irgendwie über Wasser halte. Ich habe viele Erfahrungen gemacht, leider nicht nur gute, aber wenn ich heute so gucke, denke ich:

 

Ja, es gab hässliche Zeiten, es gab Menschen, die hätte ich mir anders gewünscht, aber die sind nichts im Vergleich dazu, was ich in diesen 12 Monaten an guten und schönen Dingen habe erfahren dürfen!

 

Ich habe Menschen kennengelernt, die mir in dieser doch so kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen sind. Ich habe mit ihnen und sie haben mit mir halsknödelige* Momente geteilt haben.

 

Uuuund:

 

Es gibt Sell & ebbes noch und es hat heute Geburtstag!!

 

 

 

* Oh, Entschuldigung, die von euch, die mich nicht als Pilger kennen, kennen diesen Ausdruck ja gar nicht: Halsknödelig ist, wenn man etwas erlebt, was einem die Kehle so macht, als würde ein Knödel drin stecken und man könnte - auch ohne Mund-/Nasenschutz - nicht atmen, wenn einem die Luft wegbleibt, weil etwas so ... groß ist, dass ... Ach, ihr wisst schon, wie ich es meine ... hoffe ich.

 

12 Monate gibt es Sell und ebbes nun also, und ich denke gerade, dass es in jedem davon mindestens ein Etwas gab, was ich gelernt habe. Darum hier also:

 

 

12 Weiseheiten dieser 12 Monate

Weisheit 1:

Du kannst dich noch so gut vorbereitet haben - nix schützt dich davor, dass alles schiefläuft

 

Als ich zum ersten Mal die Klappe öffnete, war ich furchtbar aufgeregt und unsicher, aber wirklich gut vorbereitet. Ich hatte geübt, hatte Arbeitsabläufe ausprobiert, hatte Stunden im Wagen verbracht, damit ich nichts suchen muss, hatte den "Ernstfall" geprobt, fuhr mit Herzklopfen auf den ersten Markt und .... alles war weg. Was da doch noch nicht weg war, ging im Laufe der ersten "Geschäftsstunden" weg: Die Batterie batteriete nicht mehr, die Waage machte Dinge, die tat sie gestern noch nicht, ich wusste nicht mehr, was ich wo hatte, ob ich Männlein oder Weiblein bin und wie ich heiße.

Aaaber ich habe auch eine ersten Erfahrungen unter Marktleuten machen dürfen und mit drei von ihnen gestern meinen ersten Geburtstag feiern können:

Papa Schührer, Sabrina und Rene, wenn ich euch nicht (gehabt) hätte! Ihr habt mir bei meinen ersten tappseligen Schritten auf dem Markt geholfen, habt mir beigestanden, wenn ich auf die Nase gefallen bin, hattet immer eine helfende Hand, auch wenn ihr selbst eigentlich alle Hände voll zu tun hattet. Ich bin so froh, dass ich euch hatte und habe (wir stehen in Bruchsal nebeneinander und ich freue mich auf jeden Samstag)!!!

Anja, dich habe ich gestern leider nicht gesehen und es wäre auch doof gewesen, weil ich dich dann hätte ganz lieb drücken wollen und nicht dürfen, aber ich möchte sicher sein, dass du weißt, dass du auch gemeint bist!

 

Weisheit 2:

In einem Marktwagen kann es ganz schön kalt sein!

 

Uuuuh, was habe ich im letzten Winter gefroren! Ich wollte ja auch mit meiner Külwalda (so heißt mein Wagen, weil er eben gleich am ersten Markttag Schwierigkeiten mit dem Elektriktrick hatte - wer von euch Catweazle kennt, weiß den Ausdruck zuzuordnen, aber nein, mein Wagen ist keine Kröte!) einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen und versuchte in den ersten Monaten ohne Strom, d. h. dann eben auch ohne Heizung, auszukommen. Wobei: Ein Öfchen hätte mir auch wenig geholfen, weil ich die meiste Zeit ja eh vor dem Wagen stand, weil:

 

Weisheit 3:

Ein Marktwagen hat kein Schaufenster und keine Türe, durch die man gehen muss!

 

Und das ist klasse! Vor einem Marktwagen können Menschen einfach stehen bleiben und mal gucken. Gut, manchmal muss ich sie einladen näher zu treten - "Der Wagen ist wie ich, er hat eine große Klappe, beißt aber nicht!" -, kann dann aber - "Ich bin hier der Erklärbär!" - ganz viele Menschen erreichen, über unverpackten Einkauf und seine Ziele aufklären und auch wenn sie nichts bei mir kaufen, habe ich vielleicht doch einen klitzekleinen Gedanken geweckt, sorgsamer mit dieser Welt umzugehen. Ich finde, das ist schon ein ganz schön großartiger Schritt!

 

Weisheit 4:

Ich habe schlicht die falschen Produkte!

 

Während des harten Lockdowns habe ich ernsthaft überlegt, auf Toilettenpapier und Trockenhefe umzustellen! Mit diesen Produkten hätte ich ganz bestimmt einen Riesenumsatz gemacht! Zumindest aber ist in dieser Zeit Weizenauszugsmehl in meinen Wagen eingezogen ... leider kriegte ich das aber erst, nachdem das große Osterbacken mit den letzten Ostereiern in der Vergangenheit verschwanden. Hm.

 

Weisheit 5:

Markttage können ganz schön lang sein, wenn man so steht und niemand kommt!

 

Eine der Folgen des Lockdowns war, dass sich die meisten Menschen für die nächsten 5 Jahre mit haltbaren Produkten eingedeckt haben. Die kursierenden Witze darüber, dass es im Sommer zu jeder Grillfeier 20 verschiedene Nudelsalate geben würde, fand ich nur am Anfang lustig. Im Laufe der Zeit jedoch machten sie mir wirklich schlaflose Nächte. Ich hatte vor der Krise einfach nicht genug Zeit, ausreichend auf den Märkten zu etablieren. Fragt nicht, wie oft ich in diesen Wochen aufgeben wollte! - Aber ich bin die mindestens 9 Jahre jüngere Schwester von 3 großen Brüdern (ich hab euch lieb!) und habe von klein auf gelernt, nicht einfach die Flinte ins Korn zu werfen.

 

Weisheit 6:

Markt ist richtig Arbeit!

 

Wenn man so als Besucher über einen Markt schlendert, weiß man gar nicht, wie viel Arbeit hinter den Ständen steckt! Ich kann nur von mir schreiben und bei mir ist es noch bequem im Vergleich zu den Obst- und Gemüseständen:

Die am Vorabend vorbereitete Ware muss im Wagen "fahrtüchtig" verstaut werden.

Auf dem Markt angekommen muss der Wagen "aufgebaut" werden: Stromkabel anschließen, Preis- und Infoständer aufstellen, Theke mit Kisten und Gläsern richten, Gläser in der Auslage sortieren und so richten, dass ich jedes gut erreichen und entnehmen kann ...

Zwischendurch: Schöpfer (pro Produkt und Kunden 1 Stück) und Trichter (pro Kunde mindestens 1 Stück) abwaschen, Gläser und Behälter auffüllen (ich habe im Stauraum unter der Auslage immer einen kleinen Vorrat dabei), alle Oberflächen regelmäßig desinfizieren, genau im Auge behalten, welche Produkte nachgefüllt werden müssen ... - Ach ja, und die Kunden bedienen, Interessierte ansprechen und unverpackten Einkauf erklären ...

Nach dem Markt: Alles wieder so im Wagen verstauen, dass während der Heimfahrt nichts passieren kann, Boden wischen, Aufsteller wieder verräumen und sichern, zu Hause leere Behälter ausräumen, spülen, wieder auffüllen und für den nächsten Tag herrichten, das Lager in Ordnung bringen/halten ...

Denkt ihr gerade: Ja also bitte, das ist doch nun wirklich kein Grund zu stöhnen! - Stimmt! Das sind auch die Dinge - naja, bis auf das Nachfüllen -, die ich gerne tu. Aaaaber dann kommt dazu: Buchhaltung, Kassenbuch führen, Warenbestand prüfen, Ware bestellen, irgendwie so in Listen aufnehmen, dass das, was ich im Wagen habe, zu Lieferant und Charge nachvollziehbar ist, dass die Mindesthaltbarkeitsdaten überall stimmen, beachten, wann die Haltbarkeit abläuft, abgelaufene Ware entsprechend kennzeichnen und als Angebot/zur Rettung in die Kasse einpflegen, Ware ins Lager bringen (das ist ganz eindeutig Thomas Job, dem soll ja nicht langweilig werden, wärend ich auf den Märkten stehe!), dort verräumen, Bestands- und Preislisten pflegen, Informationen zu den (neuen) Produkten recherchieren, zusammenstellen und ausdrucken, Behälter bei Chargenwechsel erneuern und auszeichnen ....

Versteht mich nicht falsch, ich möchte wirklich nicht meckern, hab es mir ja selbst ausgesucht, gewünscht und tu das Allermeiste von Herzen gerne, aber ich bin einfach ganz eindeutig ein Mensch, der mit Buchstaben mehr anfangen kann als mit Zahlen und die Menge an Zahlen, mit denen ich täglich umgehen muss - Preise, Warennummer der Waage (PLU), Konten - treibt mich manchmal schier in die reine Verzweiflung!

 

Weisheit 7:

Zwischen dem Einkauf gesunder Lebensmittel und dem nachhaltigen/unverpackten Einkauf gesunder Lebensmittel liegen ziemlich viele ziemlich große Schritte!

 

Natürlich sind die Produkte bei Sell & ebbes alle aus biologischem Anbau, lieber in Bio-/Naturlandqualität, noch lieber in Demeterqualität und am allerliebsten fair gehandelt. Die Menschen, die bei mir einkaufen, wissen den Wert der Ware einzuschätzen und haben auch dafür großes Verständnis, wenn einzelne Artikel in meinem Wagen wenige Cent teurer sind als im Bioladen. Dafür keinen Verpackungsmüll zu produzieren ist ihnen der Einkauf bei mir allemal wert!

Allerdings ist der Ansatz, beim Einkauf gesunder Lebensmittel auch zu bedenken, dass Plastik nicht biologisch abbaubar wird, weil der Inhalt biologisch angebaut wurde, noch sehr neu und ihn zu gehen kostet einige Überwindung:

 

Bei einem hübsch-ordentlichen Karton mit Sichtfenster gehen Menschen davon aus, dass die Ware auch hübsch-ordentlich verpackt wurde ... aber weiß ist das so? Ich weiß auch nicht, ob meine Prdoukte hübsch-ordentlich in Säcke gefüllt wurden, aber wie ICH mit ihnen umgehe (bei verpackter Ware also der Prozess der Abfüllung in die uns allen bekannten Packungen), dabei kann mir jeder zusehen.

 

Bei aller Mühe und allen Abstrichen: Nein, ich kann mit Sell & ebbes nicht die Preise von Markt- und Handelsketten halten. Ich habe nur einen kleinen Marktwagen, kaufe zwar in Großgebinden, davon aber jeweils nur ein Stück. Da kann man keine Sonderrabatte herauskitzeln. Meist erreiche ich, möchte ich mein Angebot einigermaßen stabil halten, gerade so eben die Mindestbestellmenge, nur sehr, sehr selten aber auch den Wert, ab dem der Lieferant keine Transportkosten mehr berechnet.

Es gibt Artikel, die könnte ich sicher billiger einkaufen, jedoch nicht in gleicher Qualität. Das ist der Vorteil, den ich von Herzen genieße: Wenn ich mit einem Produkt nicht wirklich zufrieden bin, probiere ich so lange die anderer Großlieferanten aus, bis ich genau jenes gefunden habe, das ich in meinem Wagen haben möchte. Das ist dann vielleicht teurer als in der Bio-Ecke von Discountern, aber das Risiko für den Kunden, etwas zu kaufen und hinterher nicht zu mögen, ist sehr viel geringer, weil er gerne erst einmal nur eine ganz geringe Menge zum Ausprobieren mitnehmen kann. Wenn er anschließend wiederkommt und mit dem Produkt zufrieden war/ist, dann weiß ich: Ich habe es gut gemacht!

 

 

Man muss sich vor dem Einkauf überlegen, was man in welcher Menge kaufen möchte und die entsprechenden Gefäße mitbringen. - Das stimmt. Das ist einfach so. Aaaber ich habe auch immer "gerettete" Gläser im Wagen, also Marmeladen-, Gurken- und andere Gläser, die mir Kunden bringen, anstatt sie in den Container zu werfen. Ich stelle sie noch einmal in die Spülmaschine und gebe sie gerne weiter. Damit haben wir doch gemeinsam schon einen wunderbaren Schritt in die, wie ich finde, richtige Richtung gemacht!

 

 

Weisheit 8:

Huch, das Sommerloch gibt es wirklich!

 

Das lasse ich jetzt einfach mal so mindestens 8 Wochen am strahlend blauen Sommerhimmel hängen und schwitzen, weil das lässt sich auch mit aller Gewalt, Kraft und viel Spucke nicht dazu bewegen, sich weg zu bewegen.

 

Weisheit 9:

Engel gibt es gleich nebenan,

mit und ohne Bart, in kurzen Hosen, mit langen Haaren,

ertragen zuweilen morgens noch nicht so wirklich meine Fröhlichkeit,

werfen mir gerne auch mal ihre leeren Kisten in den Wagen,

knurzeln vor sich hin, fahren hinten so dicht auf Külwalda auf,

dass ich meine Türe nicht mehr öffnen kann, ....

aber sie sind immer für mich da!

 

Zwei meiner schönsten Momente möchte ich hier gerne noch einmal mit euch teilen:

 

Als an einem Samstag um 6.30 Uhr morgens Külwalda keinen Mucks mehr von sich gab, war ich ... fragt nicht! Thomas war über gerade dieses Wochenende mit Freunden in den Bergen zum Wandern und ich ... fragt nicht! Gut, das Betriebshandbuch fand ich irgendwann dort, wo ich es selbst hingeräumt hatte, aber damit, dass die Batterie nicht vorne unter der Motorhaube ist - Hallo! Da gehört sie doch hin! Das kann sich doch nur ein Mann ausgedacht haben, sie unter den Fußraum des Fahrersitzes zu packen! Woher sollte ich das denn wissen?!

Der zweite helfende Nachbar wusste es, organisierte einen Überbrückungskoffer und begleitete mich zur Werkstatt. Die Frage aller Fragen war: "Bis wann brauchst du das Auto?" - "Heute Morgen um 6.30 Uhr." - "Alles klar!" - Eine halbe Stunde später konnte ich mit einer Ersatzbatterie nach Bruchsal zum Markt fahren, wo ich mit 3 Stunden Verspätung aufbaute, ein bisschen mit schwerem Bauch, weil einige der Kunden dort schon sehr früh morgens kommen. Die waren ja nun schon da und kommen nicht wieder ... dachte ich. Falsch gedacht: Alle, und ich meine wirklich alle Kunden, die schon früh da waren, kamen noch einmal, um zu gucken, ob bei mir alles in Ordnung ist, sie sich keine Sorgen um mich machen müssen und natürlich brachten sie ihre Behälter mit!

 

Die zweite Situation:

Nach mehr als unschönen Dingen, die in meinem privaten Umfeld passiert waren, und einer schlaflosen Nacht kam ich morgens sehr angespannt in Nußloch an. Dort erinnert mich die Atmosphäre immer ein bisschen an einen Campingplatz: Nach und nach kriechen die Marktbeschicker (meine Zeltnachbarn) aus ihren Wagen (Zelten), schlurfen zum Käsewagen (Kiosk) und treffen sich dort auf einen kleinen Tratsch. Ich genieße das total! An diesem Morgen war mir allerdings wirklich nicht nach Reden. Ich blieb in meinem Wagen und versuchte, halbwegs die Kurve mit meinem Aufbau zu kriegen. Natürlich hatte ich allen einen guten Morgen gewünscht, mehr aber eben auch nicht. Was dann kam ... da brauche ich noch immer ein Taschentuch, wenn ich daran denke: Ich war den ganzen Vormittag so gut wie nie alleine. Immer, wenn gerade kein Kunde bei mir war, war einer der anderen Marktleute bei mir. Sie stellten keine Fragen, erwarteten keine Antworten, ließen mich einfach nur wissen, dass sie für mich da sind. Ich kann nicht beschreiben, was DAS für mich bedeutete!

 

Weisheit 10:

... und dabei dachte ich, Herbst ist die typische Zeit auf Märkte zu gehen!

Oder:

Man kann heute nicht sagen, ob der Markt morgen gut besucht wird!

Oder:

Jeder Markttag ist eine Überraschung! - Mal eine Gute, mal eben nicht.

 

Also, wenn ich in diesem Jahr etwas gelernt habe, ist es, dass man vorher keinen Blumentopf darauf setzen darf, ob der Markt heute gut oder nicht so gut besucht wird. Es gibt nichts, aber auch wirlich rein gar nichts, worauf man eine Erwartung aufbauen kann. Mal könnte man denken, dass jetzt eben noch einiges an Monat übrig ist, vom Geld aber leider nicht. Mal könnte man denken, dass viele Menschen für einen Feiertag einkaufen. Mal könnte man denken, dass sich wegen Hitze/Hundswetter niemand auf die Straße bemüht. Mal könnte man denken, weil gestern ein ruhiger Tag war, wird er heute auch ruhig. - Denken kann und darf man alles!, man darf nur nicht denken, dass man mit seinen Gedanken auch richtig liegt. Hat man den Wagen vollgepackt, um wirklich auf allen erwarteten Ansturm gerüstet zu sein, hat man sich das Auffüllen eventuell für die nächsten drei Wochen gespart. Auch gut. Fährt man mit seinem Strickzeug auf einen Markt, kann es sein, dass es gut ist, wenn man zwischendurch wenig Gelegenheit zum Trinken hat, weil man sonst zur Toiletten gehen müsste, aber nicht kann, weil man schlecht zu einem Kunden sagen kann: "Haben Sie zwei Minuten, ich muss erst einmal für kleine, alte Marktweiber". Jeder einzelne Tag ist ... wie wenn man einen Krimi in die Hand nimmt, bei dem man sich Seite für Seite dem Wissen nähert, wer ermordet wurde, warum und wer der Täter ist (und das von mir, die eigentlich ja gar keine Krimis mag!).

 

Weisheit 11:

Es gibt viele Gründe, nicht bei mir einzukaufen! - Dann ist es eben so.

 

 

Na, ist das nicht eine tolle Überschrift für eine Weisheit?!

 

Aber im Ernst:

Schon ganz am Anfang der Planung meiner Verkaufsidee war mir absolut bewusst, dass ich nicht jeden damit erreiche. Mein Ziel war es, möglichst vielen interessierten Menschen wie möglich den unverpackten Einkauf zu ermöglichen, ohne dazu in den nächsten Laden fahren zu müssen, und vielleicht hier und da Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben, das Ziel der Unverpackt-Läden vorzustellen.

 

Ich erlebe an und in meinem Wagen so viele wunderschöne Momente!!! ...

... aber leider auch welche, die sind eigentlich gar nicht nötig - also aus meiner Sicht. Wenn jemand nicht bei mir einkaufen möchte, ist das ökologisch gesehen zwar nicht mein Ziel, für mich aber völlig in Ordnung. Noch mehr in Ordnung wäre es für mich, wenn jemand sagte, "ich möchte das nicht" und einfach dazu steht. Das passiert leider nur ganz selten. Gut, dass ich "die, die immer denken, sie müssten die Welt retten!" bin, habe ich bislang nur einmal vor meinem Wagen gehört (für mich ein echter Jungbrunn, immerhin hielt man mir das im Alter von 15/16 Jahren auch schon vor; allerdings dachte ich, dass diese Sprüche mit derm letzten Jahrhundert in die Vergangenheit gerutscht wären), aber dafür werde ich Dinge gefragt, bei denen ich manchmal nicht wirklich sicher bin, ob sie ernst gemeint sind:

 

Wo kommt denn Ihr Reis her? Waren Sie schon einmal dort? - bei Basmatireis aus fairem Handel.

 

Sind die Feigen regional? - Wenn wir mit der Klimaerwärmung so weitermachen, könnte das durchaus so kommen.

 

Die Aprikosen kommen aus der Türkei? Wir haben hier doch auch Aprikosenbäume! - ... (es tut mir leid, aber ich bin auf einem meiner Caminos (Jakobsweg-Wanderung) schier unendliche Tage lang durch Oliven- und Mandelplantagen gelatscht, dass ich einen, zuweilen schmerzhaften, anderen Bezug zu der Größe von Plantagen habe, die benötigt werden, um den Bedarf eines Produktes für alle zu decken).

 

Wie lange ist denn Ihr Steinsalz haltbar? - ...

 

Haben Sie auch Haferflocken ohne Zucker? - Haferflocken werden nicht gesüßt. - Aber da ist doch schon Zucker im Hafer drin. Ich sucher Haferflocken ohne Zucker! - ....

 

Ich hätte ja gerne Grieß, aber nicht die ganze Flasche voll. - Das ist nur mein Entnahmebehälter, aus dem ich für Sie genau die Menge entnehme, die Sie gerne haben möchten. - Aber dann müssen Sie das ja umschütten! - Ja, ich habe hier gerettete Gläser, die ich Ihnen gerne anbiete. Sie waren alle bei mir noch einmal in der Spülmaschine. - Aber dann müssen Sie das ja jetzt hier umschütten! - Ja. - Nein, das möchte ich nicht!

 

Ich könnte diese Liste von Fragen, mit denen man eigentlich nur nicht dazu stehen möchte, dass man NICHT unverpackt einkaufen möchte, unendlich fortführen.

 

Aaaaber ....

... es gibt auch Fragen, die ich mir selbst vorher nie gestellt habe, Gedanken, die ich mir vorher nie selbst gemacht habe, und Antworten, die ich mir ohne diese Fragen nie selbst gegeben hätte. Ich kaufe noch sehr viel kritischer als zuvor ein, achte auf Herkunftsländer, suche Alternativen, wenn ich moralische Bedenken habe. Ich finde sie leider nicht immer und bin bei ganz vielen Produkten noch auf der Suche, aber wenn ich eine Lösung finde, ist das wieder ein guuuuter Schritt nach vorne!

 

Weisheit 12:

Manchmal ist es eine Gnade des Schicksals, dass man nicht in die Zukunft lunsen kann!

 

Jetzt gibt es Sell & ebbes seit einem Jahr. Natürlich hätte ich vor einem Jahr gerne mal in die Zukunft gelunst und geguckt, ob der Marktwagen wirklich eine gute Idee ist, ob er angenommen wird, ob ich die Menschen erreiche. Heute muss ich sagen, es war gut, dass ich nicht lunsen konnte, denn hätte ich es gekonnt, hätte ich vielleicht meinen Wagen schleunigst wieder als Bäckerauto verkauft und wäre dieses Wagnis nie im Leben eingegangen!

 

Meine Idee war, ist und bleibt gut, ich würde nichts, aber auch rein gar nichts anderes machen wollen. Ich liebe meinen "Job"! Ich kann täglich das tun, was mir wichtig ist, versuchen, das zu vermitteln, wovon ich überzeugt bin. Mehr noch: Ich finde für mich ganz persönlich immer wieder neue Fragen, neue Dinge, die ich ändern möchte, und ganz oft auch die dazu passenden Lösungswege. Bei anderen Dingen tu ich mir selbst noch ein bisschen schwer sie zu ändern, ich bin nicht der "Weltretter" in Persona, bin auch nur ein Mensch, der kleine Schritte macht, aber ich bin auf dem Weg und habe jeden Tag mit Menschen zu tun, denen ich eine kleine Hilfestellung geben kann und die mich dazu inspirieren, mich selbst, mein Verhalten, zu hinterfragen und immer wieder einen weiteren Schritt zu gehen.

 

Ich habe (wie auch beim Pilgern) ganz oft das Bild von dem Panda-Bären vor Augen, der einen kleinen Drachen auf dem Rücken trägt (ich mag es hier nicht einfügen, weil ich nicht weiß, ob es geschützt ist):

 

"Was ist wichtiger?",fragte der große Panda, "der Weg oder das Ziel?"
"Die Weggefährten!", sagte der kleine Drache.

 

Natürlich wüsste ich jetzt gerade im Moment auch gerne, was in einem Jahr sein wird, wo Sell & ebbes stehen wird. Ich kann es nicht. Aaaber das, was ich jetzt schreibe, kann mir keiner nehmen und ist ganz bestimmt ein erster guuuter Schritt in die Zukunft:

 

Ich freue mich auf jeden neuen Tag!

 

Ich freue mich auf die Begegnungen mit euch! Ihr habt mir diese 12 Monate trotz aller Schwierigkeiten, trotz Krise, trotz der mehr als schwierigen wirtschaftlichen Situation zu einem Geschenk gemacht! Ich kann euch gar nicht sagen, was mir das alles bedeutet und wie dankbar ich dafür bin!

 

Ich freue mich auf die Begegnungen mit neuen Menschen, bei denen ich vielleicht den Gedanken, nachhaltig einzukaufen, wecken kann!

 

Ich freue mich auf ganz wunderbare Tage mit ganz wunderbaren Marktbeschickern!

 

Ich werde auch in Zukunft keine halben Hähnchen, Hasenschlegel oder Toilettenpapier verkaufen!

 

In echt ist es in der momentanen Situation wirklich nicht geboten, aber in unecht tu ich es dafür umso herzlicher und drücke euch ganz, ganz fest!!!!